Artikel in der Bild: Schweißen Katastrophen Beziehungen zusammen?

Schon im Blockbuster Speed (Hauptdarsteller/In: Sandra Bullock, Keanu Reeves) hat man gesehen, dass Beziehungen in Extremsituationen entstehen können. BILD hat mich gefragt, ob etwas wahres daran ist oder ob das reiner Mythos ist.

Es folgt der abgetippte Artikel sowie Bilder im Anschluss:

Schweißen Katastrophen zusammen?

Teresa Baumgartl und ihr heutiger Mann Tony lernten sich in einem furchtbaren Moment kennen: Während Tony an einer Ampel wartete, ging Teresa mit ihrem Sohn im Kinderwagen über die Straße als ein Motorradfahrer direkt in den Kinderwagen fuhr. Der junge Mann leistete sofort Erste Hilfe. Der kleine Joel Harvey kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Teresa suchte den Helfer, wollte sich bedanken. Tony besuchte sie im Krankenhaus, die beiden verliebten sich. Heute sind sie verheiratet, haben einen gemeinsamen zweijährigen Sohn und Zwillinge.

Beziehungen, die nach Extremsituationen entstehen, wie die von Teresa und Tony, gibt es immer wieder. Psychologin Doris Jeloucan aus Graz erklärt im BILD-Interview die Gründe und die Dynamiken, die dahinterstecken können.

Was fällt denn hierzulande unter Betrug?

Wie gesagt, es hängt von der Auffassung der Partner ab – aufgrund der neuen Medien ist es jedenfalls leichter als je zuvor fremdzugehen. Man kann sogar im Ehebett mit Notebook oder Smartphone ein Date vereinbaren, ohne, dass der Partner etwas mitbekommt. Wo Heimlichkeit beginnt, ist es auch zu einem Seitensprung nicht mehr weit. Gleichzeitig ist aber auch das Risiko ertappt zu werden größer denn je.

BILD: Warum verliebt man sich in jemanden, den man in einer Krisensituation kennenlernt?

Doris Jeloucan: „Eine Extremsituation löst im Körper die gleichen Reaktionen wie Verliebtsein aus. Körper und Geist können die Ursachen nicht unterscheiden. Die freigesetzten Hormone machen uns emotional empfänglich. Dabei können wirkliche Zuneigung und die Gefühle, die durch Unterstützung und Aufmerksamkeit vom Gegenüber erfahren werden, verwechselt werden.“

Wo liegen die Hauptgründe für das „Ausbrechen“ aus dem Beziehungsalltag?

Es geht sehr oft um Bindungsängste, die durch traumatische Kindheitserinnerungen oder schmerzhafte ehemalige Beziehungen verursacht sein können. Viele Menschen haben Sehnsucht nach mehr Wertschätzung, Lebendigkeit, einfach der Bestätigung von außen. So komisch es klingt, aber eine Affäre kann mitunter eine in die Jahre gekommene Ehe sogar stabilisieren. Endet die Affäre, ist plötzlich auch die primäre Beziehung in Gefahr.

BILD: Wie ist es bei Paaren, die sich erst einige Zeit danach kennenlernen?

Doris Jeloucan: „Nach etwa einem Jahr ist der Trauerprozess meist nicht mehr akut. Paare, die sich dann beispielsweise in einer Therapiegruppe kennenlernen, können das Erlebte, z.B. den Verlust des Partners durch eine Krankheit oder eine Katastrophe als extrem verbindend empfinden. Der andere kennt genau, was man selbst erlebt hat. Dadurch kann eine enge Verbundenheit und Vertrautheit entstehen.“

Hintergrund: Seit Unfall im Wachkoma

Der Retter meines Sohnes wurde zur großen Liebe – Teresas Sohn liegt seit einem Unfall im Wachkoma. Der Mann, der sein Leben rettete ist zur Liebe ihres Lebens geworden.

BILD: Haben diese Beziehungen aufgrund ihres dramatischen Hintergrunds größere oder geringere Chancen glücklich zu werden?

Doris Jeloucan: „Das ist von der jeweiligen Situation abhängig und natürlich wie Beziehungsglück definiert wird. Zunächst sind die außergewöhnlichen Umstände des Kennenlernens ein stabilisierender Faktor, der an einer Beziehung festhalten lässt. Dennoch kann nach einiger Zeit die Frage aufkommen, ob wirklich der Partner, Auslöser der Gefühle ist oder vielmehr die besonderen Umstände zu Beginn der Beziehung. Auch sind psychodynamische Prozesse relevant für die Dauer und Qualität einer Beziehung, etwa ein Helfersyndrom.“

BILD stellt einige Beispiele vor, die deutlich machen, dass nach Katastrophen und Krisen Glück möglich ist:

Überlebendes des Anschlags auf den Boston-Marathon heiratet Lebensretter

Als Roseann Sdoia nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon ein Bein amputiert werden musste und sie im Krankenhaus lag, war Verlieben das Letzte an das sie dachte. Aber dann begegnete sie im Krankenhaus wieder dem gut aussehenden Feuerwehrmann Mike Materia, der sie nach dem Attentat auf den Boston-Marathon, bei dem sie verletzt wurde, ins Krankenhaus begleitet hatte. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon sehr fasziniert von seiner Freundlichkeit und Fürsorge. Auch ihre Mutter witterte sofort einen geeigneten Heiratskandidaten für ihre Tochter. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, dann eine Romanze und schließlich Liebe. Im Oktober wollen die beiden heiraten.

Der Feuerwehrmann Mike Materia (37) und die Läuferin Roseann Sdoia (48) lernten sich bei dem Attentat auf den Boston-Marathon kennen. Aus einer Freundschaft wurde Liebe.

Neue Liebe nach Tsunami-Tragödie

Am 26. Dezember 2004 nahm der Tsunami in Thailand Billi Cramer und Michael Schäffer das Liebste, was sie hatten: ihre Familien. Sie verlor Mann und zwei Söhne, er verlor seine Frau und die beiden Töchter. Insgesamt 230.000 Menschen starben bei dieser Naturkatastrophe.

Doch dann das Liebes-Wunder: Billi und Michael fanden miteinander neues Glück, sind inzwischen sogar Eltern einer kleinen Tochter. Der Therapeut der beiden gab Billi die Telefonnummer von Michael. Sie trafen sich, waren sich sympathisch. Und trauerten zusammen. Sie brauchten sich gegenseitig nichts zu erklären, verstanden die Ohnmacht, den Schmerz, die Verzweiflung auch so.

Ihre Geschichte wurde sogar in einer ZDF-Produktion verfilmt.

Krebs nahm ihnen den Partner

Iris Lewe und Gerald Gräf verloren beide ihre Partner wegen der Folgen einer Krebserkrankung. Sie lernten sich in einer Trauergruppe kennen, näherten sich langsam an. Nach achtmonatiger Annäherung wurden die beiden ein Paar. Der Verlust, den sie beide erlebten, verband die beiden, der andere konnte nachvollziehen, wie sich der Schmerz anfühlt.

Neues Glück nach dem 11. September

Ben Salamone und Donna Teepe trafen sich in einer 9/11-Selbsthilfegruppe, nachdem ihre Ehepartner während des American-Airlines-Absturzes auf das Pentagon am 11. September 2001 starben. Ein Jahr nach dem Unglück begannen sie miteinander auszugehen und weitere vier Jahre später hielt Ben um die Hand von Donna an, wie die „Washington Post“ berichtete.

Nierentransplantation verbindet sie für immer

Als Chelsea den 19-jährigen Dialyse-Patient Kyle 2009 kennenlernte, gaben ihm die Ärzte nicht mehr viel Zeit. Al sie von Dritten davon erfuhr, war sie schnell bereit, eine Niere zu spenden. Sie ließ sich testen, ihre Werte passten. Im Krankenhaus lagen sie Zimmer an Zimmer, halfen sich gegenseitig, wieder auf die Beine zu kommen. Sie spürten, dass sie mehr als eine Niere verband. 2013 heirateten sie.

Liebe bei der Dialyse

Peter und Gabriele Matena eint ein hartes Schicksal: Beide sind schwer nierenkrank. Fast elf Jahre begegneten sie sich im Dialyse-Zentrum immer wieder. Sie grüßten sich und tranken auch mal Kaffee zusammen.

Als beide fast zeitgleich eine neue Niere bekamen, im gleichen Krankenhaus, auf der gleichen Station, sahen sie das als Zeichen. Sechs Monate später waren die beiden verlobt. Im Mai 2014 krönten sie ihre Liebe mit einer Traumhochzeit.

© BILD, BILD.de, Susann Schlemmer



Wann wurde der Artikel veröffentlicht?

Am 02. Februar 2017 auf BILD.de.

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